Lebenswissenschaften im Adlershof Focus
Wirkstoffe aus blauen Bakterien und molekulare Angeln
In den letzten Jahren hat sich Berlin-Brandenburg zum führenden Life Science-Standort Europas entwickelt. Immer mehr Biotech-Unternehmen ziehen auch in den Technologiepark Adlershof. Die beiden jüngsten Neuansiedlungen werfen molekulare Angeln aus und entwickeln neue Arzneistoffe aus blauen Bakterien.
Im Inkubationsraum surren die Schüttelgeräte. Auf kreisenden Plattformen halten sie in dutzenden Glaskolben Bakterien-Kulturen in Bewegung. Dan Kramer, Geschäftsführer der Cyano Biotech GmbH, greift nach dem einen oder anderen Kolben und hebt ihn gegen das Licht. „Cyanobakterien müssen nicht immer blaugrün aussehen“, erklärt er. „Rotbraun bis gelblich können sie auch sein. Weil sie vielzellige Aggregate bilden können, hat man sie lange Zeit für Algen gehalten.“
Als Giftproduzenten kennt man die Cyanobakterien, als Verursacher der sogenannten Algenblüte. Wenn die Konzentration der von ihnen ausgeschiedenen Toxine den Grenzwert übersteigt, müssen Badeseen gesperrt werden. Doch die Cyano Biotech will Arzneien aus ihnen gewinnen. „Wir glauben, dass sich aus Cyanobakterien eine Fülle bislang unerforschter Wirkstoffe isolieren lässt“, sagt er und deutet auf die vielen Kolben. „Wir screenen im großen Maßstab. Jeder zweite Naturstoff, den wir finden, ist noch nicht beschrieben.“
Als Studenten an der Humboldt-Universität waren die späteren Firmengründer Heike Enke und Dan Kramer mit Cyanobakterien als Objekt genetischer Studien in Berührung gekommen. Dabei wurde die Idee geboren, diese wenig erforschten Bakterien als Quelle für Naturstoffe zu erschließen. „Wir sahen das große Potential an pharmakologisch interessanten Naturstoffen und wollten uns damit eine berufliche Perspektive aufbauen“, sagt Heike Enke. Im Januar 2004 gründeten beide gemeinsam die Cyano Biotech GmbH. Ende 2007 zog die Firma aus dem Unilabor in die eigenen Räume in Adlershof. Ein Teil der Naturstoffe wird in Form von Bakterienextrakten verkauft. „Wir arbeiten daran, von uns isolierte Naturstoffe selbst zu verwerten“, blickt Kramer in die Zukunft.
Im selben Haus zog Anfang 2008 das Labor der caprotech bioanalytics GmbH ein. Professor Dr. Hubert Köster hat vor caprotech schon drei andere Biotechnologie-Unternehmen gegründet und erfolgreich geführt. „Aus meiner Forschungsarbeit sind immer wieder Erfindungen hervorgegangen. Und um ihre Verwertung auf den Weg zu bringen, habe ich Firmen gegründet“, erzählt der umtriebige Emeritus vom Institut für Organische Chemie und Biochemie der Universität Hamburg.
Caprotech hat eine Technologie zur Untersuchung der Wechselwirkungen von Proteinen mit kleinen Molekülen, zum Beispiel Wirkstoffen, entwickelt. Im Mittelpunkt des patentierten Verfahrens stehen die sogenannten capture compounds. Die hat Köster mit drei Modulen ausgestattet. Ihre Funktionen erklärt er so: „Nehmen wir an, jemand will nur Barsche angeln. Dann verwendet er einen selektiven Köder, der möglichst nur von Barschen angenommen wird. Die Funktion des selektiven Köders wird in unserem Verfahren von der Selektivitätsfunktion des Capture Compounds übernommen, die mit Oberflächenstrukturen des gesuchten Proteins in Wechselwirkung tritt.“ Um das Protein fest an den Haken zu bekommen, gehe das zweite Modul eine chemische Bindung mit dem Protein ein. Einholen könne man es dann über eine magnetische Perle. Über die bestimmung des genauen Gewichts wird das gefangene Protein identifiziert.
Anwendungsgebiete für seine Plattformtechnologie sieht Köster in Bioanalytik, Wirkstoffoptimierung und Diagnostik. In wenigen Monaten soll das erste Produkt an den Markt kommen. Das wird ein Kit für die Bioanalytik sein, mit dem man Proteine mit bestimmten funktionellen Eigenschaften fischen kann.
Das versammelte Wissenspotential mache Adlershof attraktiv, meint Köster, deshalb habe er die caprotech hier angesiedelt. Neben der Chemie der Humboldt-Universität seien hier viele interessante Firmen ansässig. Auch die Bibliothek finde man gleich um die Ecke. Kramer sieht das ganz ähnlich: „Zum Campus-Charakter kommt die gute Verkehrsanbindung mit Autobahn und Flughafen hinzu.“ Und Heike Enke ergänzt: „Nirgends in der Stadt waren Räume mit hohem Ausstattungsgrad so günstig zu bekommen.“ Adlershof ist längst auch für Biotech-Firmen attraktiv geworden.
Helmuth Prokoph