Wie Medizin günstiger wird: Neue Entwicklungen in der Pharmaforschung
Immer besser, aber auch immer teurer – das war bisher die Regel für neue Entwicklungen im Gesundheitswesen. In den Labors der Lebenswissenschaftler bahnt sich nun eine Revolution an, die die Behandlung von Patienten oder die Suche nach neuen Medikamenten nicht nur erheblich erleichtern, sondern auch preiswerter machen wird. Drei Unternehmen im Umwelttechnologiezentrum (ZBU1) in Adlershof sind bei dieser Entwicklung ganz vorn dabei.
„In der sogenannten personalisierten Medizin möchte man die Behandlung auf jeden Patienten individuell zuschneiden“, sagt Holger Eickhoff, Vorstandsvorsitzender der Scienion AG. „Dafür sind natürlich eine Vielzahl an Untersuchungen notwendig.“ Damit man den Patienten aber nicht literweise Blut abzapfen und große Mengen Reagenzien verbrauchen muss, sollen Microarrays zum Einsatz kommen: vorgefertigte Platten mit Hunderten kleiner Vertiefungen, in denen sich bereits Chemikalien für die Untersuchung befinden. Die zu untersuchende Flüssigkeit sowie weitere Reagenzien werden dann von speziellen Maschinen automatisch hinzu gefüllt. Das Besondere: Diese Tröpfchen haben ein Volumen von wenigen Milliardstel Litern, sie sind so groß wie Staubkörner und mit dem bloßen Auge gerade noch zu erkennen.
„Die Methode ist eigentlich für die Forschung entwickelt worden“, sagt Holger Eickhoff. „Wir sind die einzige Firma der Welt, die Technik zur Verfügung stellt, um solche Arrays am Fließband zu produzieren.“ Erst mithilfe dieser Massenproduktion wird ein Preis von etwa zehn Cent pro Untersuchungs-Punkt möglich – und damit das Verfahren interessant für die medizinische Diagnostik. Auch die hochpräzisen Geräte, die während der Untersuchung die Microarrays mit den Nano-Tröpfchen befüllen, stellt Scienion her. Für die besondere technische Raffinesse dieser Systeme erhielt das Unternehmen im Jahr 2004 den Innovationspreis Berlin-Brandenburg.
Weltweit einmalig ist auch das Verfahren, das die erst vor vier Jahren gegründete Caprotec GmbH anbietet. Es kann mögliche Nebenwirkungen eines potenziellen Medikaments testen, ohne teure Tierversuche und in sehr kurzer Zeit. „Nebenwirkungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht bei jedem Patienten auftreten und häufig auf labilen chemischen Wechselwirkungen beruhen“, sagt Christian Jurinke, Chef des Produktmanagements. „Das macht es so schwer, sie im Labor zu untersuchen.“ Der Trick von caprotec: Das zu testende Medikamenten-Molekül wird mit speziellen, patentierten Molekülen erweitert.
Die so geschaffene Verbindung – das „Capture Compound“ – kann man nun in einen ganzen Pool unterschiedlicher Proteine werfen, die jeweils für bestimmte Körperfunktionen verantwortlich sind. Verbindet sich das Medikamenten- Molekül mit einem unerwünschten Protein, könnte es beim Patienten später zu Nebenwirkungen kommen. „Auch wenn eine Bindung nur sehr schwach ist, können wir sie mit unserer Capture-Compound-Erweiterung quasi zementieren“, sagt Jurinke. Nach UV-Bestrahlung geht der Komplex nämlich eine feste Verbindung mit dem Protein ein. Auf diese Weise „gefangen“, lässt es sich dann leicht aus der Lösung abtrennen und identifizieren. In einer erfolgreichen Kooperation mit dem Pharmaunternehmen Hoffmann – La Roche hat sich das Verfahren bereits in der Praxis bewährt.
„Auch unser Standort hier im ZBU hat zu einer Kooperation geführt“, erzählt Christian Jurinke. Zusammen mit der Firma JPT Peptide Technologies GmbH im gleichen Haus entwickelte Caprotec einige Capture Compounds speziell für sogenannte Peptide. Diese Bausteine von Proteinen sind zum Beispiel als „Tumor-Marker“ in der Diagnostik bekannt. Die Capture Compounds können hier der Grundlagenforschung neue Einblicke in die Interaktionen von wichtigen Zellbestandteilen eröffnen.
von Wolfgang Richter