Durchbruch in der Gravitationswellenphysik
Streuung Schwarzer Löcher mit beispielloser Präzision
Unter der Leitung von IRIS Adlershof-Gründungsmitglied Jan Plefka hat ein internationales Team die Dynamik zweier aufeinandertreffender Schwarzer Löcher mit der bisher höchsten jemals erreichten Präzision berechnet. Ihre in der renommierten Zeitschrift Physical Review Letters als "Editor's Choice" veröffentlichte Arbeit liefert neue Einblicke in die enormen Gravitationswechselwirkungen zwischen diesen extremen Objekten in unserem Universum.
Die Streuung Schwarzer Löcher ist ein fundamentales Problem der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins mit weitreichenden Folgen für die Astrophysik und Gravitationswellenastronomie. Das Verständnis der Gravitationswechselwirkungen und der abgestrahlten Gravitationsstrahlung bei der Kollision zweier Schwarze Löcher oder Neutronensterne ist entscheidend für die Interpretation von Beobachtungen mit Gravitationswellendetektoren wie LIGO und zukünftigen Detektoren der dritten Generation, die in den 2030er Jahren in Betrieb gehen sollen.
Die neuen Berechnungen der Forscher von der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und dem CERN bringen die theoretische Beschreibung der Schwarzen-Loch-Streuung auf eine noch nie dagewesene Genauigkeit – die fünfte Post-Minkowski‘sche Ordnung und nächstführende Selbstkraftordnung. Diese enorm anspruchsvolle Vier-Schleifen-Berechnung erforderte modernste Integrationstechniken und Hochleistungsrechner.
„Die Lösung dieses Problems markiert eine neue Grenze für Mehrschleifen-Berechnungen und effektive Feldtheorie-Techniken“, sagte der Gruppenleiter Jan Plefka. Co-Autor Benjamin Sauer kommentierte: „Wir mussten jeden Aspekt optimieren, von der Erzeugung des Integranden bis hin zur Entwicklung neuer Integrationsmethoden.“ Insgesamt mussten einige Millionen von 16 dimensionalen Integralen, die den Streuwinkel beschreiben, auf eine Basis von 470 Masterintegralen reduziert werden, die dann berechnet wurden.
Bemerkenswerterweise fanden die Forscher, dass der resultierende Streuwinkel auf diesem neuen Präzisionsniveau eine erstaunliche Einfachheit aufweist, ohne dass neue transzendente Funktionen jenseits von Polylogarithmen des Gewichts drei in Erscheinung treten. Alle theoretischen Checks, sowohl interne als auch durch Übereinstimmung mit nicht-relativistischen Grenzfällen waren erfolgreich.
Mit diesem Durchbruch haben die Forscher die Grundlage dafür gelegt, ihre Berechnungen in fortschrittliche Gravitationswellenmodelle für die nächste Generation von Gravitationswellendetektoren einzubinden. Die höhere Präzision wird extrem genaue Tests der Einstein‘schen Theorie und neue Einblicke in die Kern- und Gravitationsphysik von Doppelsystemen rotierender Schwarzer Löcher ermöglichen.
„Unsere Ergebnisse bringen die Vorhersage von Gravitationswellen, die von Begegnungen Schwarzer Löcher ausgehen, auf eine noch nie dagewesene Genauigkeit“, sagte der Co-Autor Gustav Uhre Jakobsen. „Dies eröffnet brillante neue Möglichkeiten, fundamentale Physik aus künftigen Gravitationswellenbeobachtungen zu extrahieren.“
Die Forschungsarbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des GRK 2575 „Rethinking Quantum Field Theory“ und dem Europäischen Forschungsrat mittels des Advanced Grants „GraWFTy“ von Jan Plefka finanziert.
Publikation:
Conservative Black Hole Scattering at Fifth Post-Minkowskian and First Self-Force Order
Mathias Driesse, Gustav Uhre Jakobsen, Gustav Mogull, Jan Plefka, Benjamin Sauer, and Johann Usovitsch
Phys. Rev. Lett. 132, 241402 – Published 13 June 2024. DOI: 10.1103/PhysRevLett.132.241402
Kontakt:
Prof. Dr. Jan Plefka
Sprecher Graduiertenkolleg 2575 „Rethinking Quantum Field Theory“
ERC Advanced Grant „GraWFTy"
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Physik, Arbeitsgruppe Quantenfeld- und Stringtheorie
Zum Großen Windkanal 2, D-12489 Berlin
jan.plefka(at)hu-berlin.de
+49 30 2093-66409
qft.physik.hu-berlin.de
www2.hu-berlin.de/rtg2575/
Quelle: IRIS Adlershof, 19.06.2024