Heimisch werden in Adlershof
Wie Gastwissenschaftler den Campus erleben
In Adlershof arbeiten Menschen aus vielen Nationen zusammen. Nicht nur das, einige Wissenschaftler leben auch in Gästehäusern auf dem Gelände. Redakteurin Annette Leyssner hat für das Adlershof Journal fünf Wahl-Adlershofer verschiedener Nationalitäten nach ihrem Blickwinkel auf Deutschland im Allgemeinen und auf Adlershof im Besonderen befragt. Die Kurzprotokolle zeigen, wie sie sich hier fühlen, was sie vermissen und was sie in ihrer Freizeit unternehmen.
Dr. Adolfo Esteban-Martin, 34 Jahre
Aus Spanien
In Deutschland: Juli 2012 – Oktober 2012
Postdoc am Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie
Wohnt im IBZ Gästehaus Adlershof
Am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt
„Es gibt interessantes Essen in der Betriebskantine. Zum Beispiel heute Känguru-Braten. Jeden Tag stehen in einer Vitrine Teller mit den Speisen. So sieht man auch ohne Deutschkenntnisse, was einen erwartet, wenn man z. B. „Gericht 4“ bestellt. Eine Currywurst habe ich auch schon probiert. Das wird nicht mein Lieblingsgericht. Vielleicht ist eine Bratwurst eher was für mich. Alle Lebensmittel, die ich zu Hause in Spanien kaufe, finde ich in Adlershof auch im Supermarkt. Mit einer Einschränkung: Die Auswahl an frischem Fisch ist nicht groß. In diesem Punkt bin ich verwöhnt, da ich in Valencia aufgewachsen bin. Wenn ich mal eine Pause von der Arbeit brauche, gehe ich gern ins Caffè Kamee an der Rudower Chaussee. Die Deutschen trinken oft dünnen Kaffee, der den ganzen Tag warmgehalten wird. Das ist furchtbar. Im Kamee gibt es richtig guten Espresso.
Was mich fasziniert? Man sieht in Deutschland alte Frauen, die Bier trinken und nebenbei ein Buch lesen. Meine Mutter würde nie in der Öffentlichkeit Bier trinken. Auch trinken die Leute hier Bier in der U-Bahn. Das ist in Spanien nicht erlaubt. Die Menschen hier haben viele Freiheiten, aber sie respektieren auch die Regeln.
Ich bin froh, hier zu sein. Es ist toll, so nahe am Reichstag zu sein, wo in diesen Wochen so viele wichtige Dinge entschieden werden, auch was Europas Zukunft angeht. Ich habe das Gefühl: Ich bin am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt. Aber vielleicht hängt das damit zusammen, dass wir grade so tolles Sommerwetter haben. Wenn wir dieses Interview im November machen würden, wäre meine Stimmung vielleicht anders. Der Berliner Winter soll hart sein, habe ich gehört.“
Dr. Salman Qureshi, 31
Aus Pakistan
In Deutschland: Seit März 2012 für zwei Jahre
Postdoc in Landscape Ecology an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU)
Wohnt im IBZ Gästehaus in Köpenick
Entspannte Kleiderordnung
„Ich bin hier mit meiner Frau und unserem Baby. Unsere Wohnung liegt direkt an der Spree. Es gefällt mir, dass es in Köpenick ruhig und grün ist. Partys feiern ist sowieso nicht meine Sache. Ich komme aus Pakistans Hauptstadt Karachi, mit 20 Millionen Einwohnern. Menschenmengen habe ich da genug.
Typisch für pakistanische Einrichtungen sind Wandteppiche und Fotos von heiligen Orten. Ich wollte nicht so viel Gepäck mitschleppen und habe nur einige Handarbeiten mitgebracht. Noch eine Sache hatte ich im Gepäck: Um Chapati (Fladenbrot/Anm. der Redaktion) selber zu backen, gibt es eine flache Eisenplatte mit Stiel, die man auf der Herdplatte erhitzt. Sie heißt Tawa. Wir backen jeden Tag frisches Brot.
Und wir kochen jeden Tag pakistanisches Essen. Wir sind Muslime. Es ist kein Problem, nach islamischen Recht zulässiges Fleisch zu finden. In Neukölln gibt es Märkte, wo ich alles bekomme. Zum Beispiel frischen Koriander. Der ist viel aromatischer als der aus dem Supermarkt. Meine Frau trägt Kopftuch. Sie fühlt sich wohl hier, niemand schaut sie komisch an. Das ist in Deutschland besser als in Österreich, wo ich an meiner Doktorarbeit geschrieben habe. Mit meiner Familie und der Arbeit vergehen die Tage schnell. Demnächst will ich als Ausgleich einen Sportkurs belegen. Im Sportzentrum Adlershof wird ein Workshop Aikido angeboten, das ist eine japanische Kampfkunst. Das interessiert mich.
Mir gefällt, dass an der HU die Kleiderordnung entspannt ist. In Karachi darf ich als Mitglied des Lehrkörpers niemals Jeans tragen. Alles muss gebügelt und die Schuhe poliert sein, die Socken müssen zu den Schuhen passen. In Pakistan habe ich jeden Tag gebügelt, das muss ich hier nicht.“
Jessica Hoskins, 28 Jahre
Aus dem Bundesstaat West Virginia in den USA
In Deutschland: Oktober 2011 – Oktober 2012
Stipendium, um einen Post-Doc Abschluss zu machen im Gebiet Polymer-Chemistry an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.
Wohnt im IBZ Gästehaus Adlershof
Deutschkurse gewünscht
„Ich habe mich sehr gefreut, dass es mit dem Stipendium geklappt hat. Alle meine Freunde haben mir gratuliert, Berlin gilt als ‚such a cool place’. Die Kulturunterschiede sind nicht so groß. Die Menschen in Deutschland sind nur etwas reservierter als die Amerikaner. Mir wurde gesagt, ich solle Fremde lieber nicht so viel anlächeln. Das ist hier nicht üblich. Die Leute sind dann irritiert. Sie denken, sie hätten was im Gesicht oder es stimmt sonst was nicht.
Ich habe schon viele nette Leute kennengelernt. Im Gästehaus fühle ich mich wohl. Dort werden abends oft Filme gezeigt. Mit meinen Nachbarn spiele ich manchmal Tischtennis. Es gibt auch alles zu kaufen, was ich von zu Hause gewohnt bin. Außer Kaugummis mit der Geschmacksrichtung „Sweet Mint“, also süße Minze. Die lasse ich mir von meiner Mutter schicken. Toll wäre es, wenn auf dem Gelände in Adlershof auch Deutschkurse angeboten würden. Ich fahre jetzt immer zur Volkshochschule Steglitz, das ist ganz schön weit.
Craig Barfoot, 34
Aus Melbourne, Australien
In Deutschland seit: 2009
Kommt wöchentlich einmal nach Adlershof, um Mitarbeiter der WISTA-MANAGEMENT GMBH in Business English zu schulen.
Lesepause im Park
„In Australien gibt es mehr oberflächliche Freundlichkeit. Dort ist es normal, mit der Kassiererin im Supermarkt zu reden. Hier gibt es weniger freundliches ‚blah, blah‘. Ich muss meinen Schülern beibringen, dass ein englisches ‚Hello, how are you‘ eigentlich nur „Hallo“ heißt. Es ist keine echte Frage. Hier in Deutschland war es auch das erste Mal, dass man mich mit meinem Nachnamen angesprochen hat. In Australien benutzt man fast nie seinen Nachnamen. Wenn der Chef darauf bestehen würde, dass man ihn mit dem Nachnamen anredet, würden die Mitarbeiter denken ‚Was für ein Idiot‘, das wäre sehr unhöflich. Die Deutschen schreien auch gerne, wenn man z. B. mit dem Rad auf der falschen Seite der Straße fährt. Die Australier sind bei solchen Sachen entspannter.
Deutsche mögen Regeln. Und sie sind konsequent. Sie machen Pläne: Nach A folgt B und dann C, und diese Pläne setzen sie dann auch um. Aber Berlin ist auch sehr offen, egal ob man Punk ist oder schwul, die Leute akzeptieren das.
Ich komme nach Adlershof nur zum Arbeiten, meine Wohnung ist in Kreuzberg. Die S-Bahn Anbindung ist sehr gut, und wenn das Wetter schön ist, mache ich gerne noch eine kleine Pause und lese etwas in dem kleinen Park in der Nähe der S-Bahn Station. Was ich vermisse? In Melbourne habe ich am Strand gewohnt, da ist das Strandbad Wannsee einfach nicht dasselbe.“
Najib Achkar, 51
Aus Marokko
In Deutschland seit 1980
Eigentümer der Achkar Software GmbH
Echte Freundschaft
„Ich fühle mich als Weltbürger, bin in Marokko geboren und pendle heute zwischen Japan, Deutschland und Australien. Daher ist es wichtig, dass Adlershof verkehrstechnisch so gut angebunden ist. Es gibt kein Land, das ich als ‚mein Heimatland‘ bezeichnen würde. Vor vielen Jahren kam ich zum Studium nach Deutschland mit 50 DM in der Tasche und einem One-Way-Ticket.
Überraschend fand ich hier, dass der Preis, der auf dem Preisschild steht, auch tatsächlich der Preis ist, den ich zahlen muss. Da gibt es keine versteckten Kosten oder Verhandeln. Das ist in Marokko anders. Was mir damals noch auffiel: In anderen Ländern wird man innerhalb von drei Minuten von anderen Menschen als ‚Freund‘ bezeichnet. Aber das sind dann keine echten Freundschaften. In Deutschland ist das anders: Bis du mit jemanden eine Freundschaft schließt, dauert das. Dann ist das aber eine echte Freundschaft, dann ist man Freund fürs Leben.“