Kristalle wachsen maßgeschneidert
IKZ entwickelt unverzichtbare Werkstoffe für die Hightechindustrie
Funkelnde Leuchter oder die Wahrsagekugel, das wird oft mit dem Begriff Kristall assoziiert. Dabei punkten die gitterförmig gegliederten Gebilde mittlerweile als unverzichtbare Werkstoffe für die Hightechindustrie.
Die regelmäßige Anordnung der Bausteine im Kristallgitter gehorcht einem Naturprinzip. „Es handelt sich um einen Unordnungs-Ordnungs-Übergang, wodurch die Bausteine – in der Regel Atome – eine höhere Packungsdichte und damit einen stabileren Zustand erzielen“, sagt Thomas Schröder, seit Februar 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Kristallzüchtung (IKZ) in Adlershof und Professor für Kristallwachstum an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Doch nicht immer ist das Gitter perfekt. Leerstellen, Fremdatome wie Verunreinigungen und andere Mechanismen können zu Defekten führen, erklärt der Wissenschaftler, der Physik und Chemie studiert hat. Bei Hochleistungsmaterialien, wie sie für Elektronik, Optik oder Energietechnik heutzutage benötigt werden, seien solche Fehler längst nicht mehr tolerierbar. Benötigt werden vielmehr Werkstoffe – etwa Silizium, Germanium, Galliumarsenid, Aluminiumnitrid oder -oxid und Fluoridkristalle – mit speziell für die Anwendung optimierten Eigenschaften.
Solche maßgeschneiderten Kristalle kommen in der Natur nicht vor. Sie müssen aufwendig und mit viel Know-how gezüchtet werden – aus der Schmelze gezogen, aus Lösungen oder der Gasphase abgeschieden. Die Verfeinerung dieser Techniken erforschen die rund 120 Mitarbeiter des IKZ, das zu den weltweit führenden Instituten auf diesem Gebiet gehört.
Den Weg vom Rohstoff zum Computerchip demonstriert Schröder. Der Materialforscher schüttelt eine kleine Plastikflasche voller Sand und stellt sie auf den Tisch. Aus solchem Sand stammt der daneben liegende runde Silizium-Einkristall, etwa zehn Zentimeter dick und 20 cm lang. Neben ihm funkelt – aus dem Zylinder gesägt – eine millimeterdünne Scheibe, ein „Wafer“. Er dient als „Substrat“, als Unterlage für elektronische Bauelemente.
Das Kristallsubstrat liefert das IKZ an Forschungsinstitute oder an die Industrie, um Halbleiter-Chipsysteme daraus zu fertigen. Heute bilden Kristalle die Basis für Laser oder Solarzellen sowie für Alltagsgeräte, wie Smartphones, Computer oder Navigationsgeräte, die Schröder gerne als „Kulturgüter des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet.
Die Entwicklung dieser Produkte folgte in den letzten Jahrzehnten dem Motto, immer mehr Chips auf immer kleinerer Fläche zu platzieren. Diese Entwicklung geht nach Schröders Einschätzung wegen zu hoher Kosten für die notwendige Präzision allmählich zu Ende. Für Forschung und Industrie biete sich als Wachstumsstrategie daher an, in bewährte Technologien neue Module zu integrieren, etwa für Radio, Kamera, Internet oder – stärker als bisher – auch für biologische Funktionen. Dafür werden neue Materialien benötigt. Für das IKZ öffnet sich neben der erfolgreichen Kristallzüchtung die Chance, innovative kristalline Substanzen selbst zu bearbeiten und die Substrate interessierten Forschungseinrichtungen oder Unternehmen zur Verfügung zu stellen.
Für solche noch nicht etablierten Werkstoffe mit hohem Potenzial für neue Märkte, etwa Quantenmaterialien, gebe es oft noch kein entsprechendes industrielles Angebot, sagt Schröder. Interdisziplinäre Zusammenarbeit hat der gebürtige Saarländer quasi von der Pike auf gelernt. Nach dem Doppelstudium in Tübingen und mehreren Auslandsaufenthalten in Italien, Spanien und Frankreich forschte er am Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik in Frankfurt/Oder, zuletzt als Leiter der Abteilung Materialforschung, bevor er den Ruf nach Berlin annahm.
Von Paul Janositz für Adlershof Journal