Quereinstieg in die Zukunft
Der Verein proANH sichert den Personalbedarf in der Mikrotechnologie durch die Fortbildung zur „Fachkraft Elektronikfertigung“
Eine zukunftssichere Chance habe er gesucht, sagt Onur Sahin. Der 30-Jährige wollte „einen neuen Weg“ einschlagen. Dass dieser ihn in einen Reinraum des Ferdinand-Braun-Instituts, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH) in Adlershof geführt hat, sei dabei ein großer Glücksfall gewesen. Für Sahin, aber auch für das Institut.
Offene Stellen – besonders in den Schlüsseltechnologien wie der Mikrotechnologie – mit geeigneten Bewerber:innen zu besetzen, wird immer schwieriger. Das Aus- und Weiterbildungsnetzwerk Hochtechnologie (ANH Berlin) mit Sitz am FBH beschreitet dabei immer wieder neue Wege. Neben verschiedenen auch bundesweit angelegten Projekten zur Fachkräfteentwicklung hat sich vor etwa vier Jahren proANH e. V. als regionale Initiative aus mehr als 20 Unternehmen und Forschungseinrichtungen im Hightechbereich in Berlin und Brandenburg gegründet.
„Was waren das für Zeiten“, erinnert sich Uta Voigt, Koordinatorin des regionalen Netzwerks, „als es noch 70 bis 80 Bewerber:innen für drei Ausbildungsplätze am FBH gab.“ Heute, sagt sie, wäre es deutlich schwieriger, die offenen Stellen zu besetzen. Gründe dafür gibt es einige. Der demografische Wandel ist der am häufigsten genannte, doch nicht der alleinige. Viele kennen schlicht und einfach das Berufsbild Mikrotechnologe/Mikrotechnologin nicht, das es so auch erst seit Ende der 1990er Jahre gibt.
Während der klassische Weg in die Mikrotechnologie für gewerblich-technisches Personal über die duale Ausbildung führt, lässt sich der Bedarf an qualifizierten Fachkräften, wie in vielen anderen Branchen auch hier, längst nicht mehr nur durch die Ausbildung des eigenen Nachwuchses stillen. Vor diesem Hintergrund hat der Verein proANH 2023 in Kooperation mit der Agentur für Arbeit Berlin-Südost, dem bbw Bildungswerk der Wirtschaft und einigen Mitgliedsunternehmen eine Idee für die Qualifizierung von Quereinsteiger:innen entwickelt und erprobt: die Fortbildung zur „Fachkraft Elektronikfertigung“. Onur Sahin ist einer der ersten Absolvent:innen.
Auch Sahin wusste wenig, obgleich technisch interessiert, von Reinraum, Mikrotechnologie oder Mikrochips. „Die Branche“, sagt der damals arbeitsuchende Sahin, „hatte ich gar nicht auf dem Schirm.“ Zunächst konnte er sich mit anderen Interessierten auf einer Infoveranstaltung über die fünfmonatige Qualifizierung und das Technologiefeld allgemein informieren, aber auch gleich mit den beteiligten Unternehmen direkt ins Gespräch kommen. Und auch nach Beginn des Kurses wurde es mit Exkursionen zu den Betrieben schnell „möglichst konkret“, ergänzt Uta Voigt. Das gefiel auch Sahin. „Wir haben einen Reinraum besucht, viel über den Arbeitsplatz und die einzelnen Arbeitsschritte in der Waferproduktion erfahren. Ich hatte gleich das Gefühl, hier kriege ich, was ich sehe.“
An der Fertigung der Wafer sind diverse Berufsgruppen beteiligt, vom Wissenschaftler bis zur Auszubildenden. „Nicht immer wird eine abgeschlossene dreijährige Ausbildung benötigt“, erklärt Uta Voigt. Für den Quereinstieg werden die Teilnehmenden in vier Monaten Theorie etwa in Elektrotechnik, Grundlagen der Chemie, Halbleiter-, Mikrosystem- und Gerätetechnik fit gemacht. Hinzu kommen u.a. Kommunikation, Arbeitsrecht, Arbeitssicherheit und auch ein bisschen Englisch. Entscheidend ist dann das vierwöchige Praktikum, bei dem die gelernte Theorie angewendet wird und alle Beteiligten endgültig entscheiden, ob und wie sie künftig zusammenarbeiten werden.
21 Absolvent:innen wurden bei den Vereinsmitgliedern 2023 fest angestellt. Ein großer Erfolg, findet Uta Voigt. Was sie darüber hinaus besonders freut: Alle Beteiligten suchen Mitarbeitende, Konkurrenz spielt dabei aber kaum eine Rolle. Die Unternehmen, die teilweise ja auch im Wettbewerb stehen, ziehen alle an einem Strang. „Sie wissen, was auf dem Spiel steht und dass es sich lohnt, die Kräfte im Netzwerk zu bündeln.“ Seit November 2023 laufen die Vorbereitungen für den inzwischen dritten Qualifizierungsdurchgang, weitere sind geplant.
Onur Sahin hat das Praktikum am FBH absolviert und alles gelernt, was er als Quereinsteiger für die Arbeit unter Reinraumbedingungen, mit Schutzanzug von Kopf bis Fuß, Mundschutz und Handschuhen braucht. Jetzt freut er sich auf neue Kolleg:innen und einen Job mit Zukunftsperspektive.
Rico Bigelmann für Adlershof Journal