Wo Schnecken Riesen sind
Dimensionen, schwer greifbare im Besonderen, sind das Thema der Kunst Margund Smolkas. Im neuen Zentrum für Mikrosysteme und Materialien (ZMM) spielt die Künstlerin mit der Nicht-Fassbarkeit der Dimensionen moderner Mikrosystemtechnik
Riesige Schnecken kriechen über die Fassaden, die Treppenhäuser und Laborapparate im ZMM. Plötzlich wechseln sie ihre Größe auf normale Maßstäbe. Wo sonst als im ZMM hätten Smolkas Schnecken ein passenderes Zuhause finden können, ist doch eines der charakterisierenden Merkmale der Mikrosystemtechnik die Dimension. Kleinste Teile bringen riesige Maschinen sicher und zuverlässig in Bewegung. Und mittendrin, zwischen Weinbergschnecke und Airbus A380, bewegt sich der Mensch: als Forscher, Unternehmer, Nutzer.
So wie in Smolkas Videoinstallation die Kriechtiere ihre Dimensionen wechseln, leben die Unternehmer und Wissenschaftler im normalen Maßstab ihrer Büros und Labore, arbeiten darin an miniaturisierten, kaum sichtbaren Technologien und überwinden in weltweiten Forschungsnetzwerken gedankliche und geografische Dimensionen. Zumindest letztere meist im Flugzeug.
Im Airbus A 380 ist dann auch immer ein Stück Nachbarschaft an Bord. Die UV-Sensorik des Adlershofer Unternehmens sglux wacht im Riesenvogel darüber, dass das Wasser an Bord keimfrei bleibt. Auch in der Montage der Flugzeuge sind die sglux-Sensoren wichtiger Bestandteil: Sie kontrollieren, wie viel ultravioletter Strahlung die Carbon-Bauteile im ertigungsprozess ausgesetzt sind. Denn das Kurzwellenlicht ist im Carbon-Leichtbau unerwünscht. Verglichen mit den Herzstücken der optischen Sensorsysteme von sglux sind Smolkas Schnecken Riesen. Die Siliziumcarbid-Chips messen gerade mal 0,04 Quadratmillimeter. Trotzdem müssen Mikrosysteme auch in extrem unwirtlichen Umgebungen zuverlässig funktionieren.
Die ColVisTec AG, ebenfalls Mieter im ZMM, konstruiert ihre optischen Messsonden so, dass sie selbst bei Temperaturen bis 400 Grad Celsius in flüssigen, geschmolzenen oder pulvrigen Medien funktionieren. „Spektralphotometrische Prozessüberwachung“, nennt das Unternehmen sein Verfahren, das Mischprozesse und Reaktionen aller Art „in-line“ – also während des Prozesses – überwacht. Ringförmig angeordnete Glasfaserleiter in Extrudern oder Reaktoren senden Xenon-Blitze direkt in das jeweilige Medium. Eine weitere Glasfaser leitet das reflektierte Licht an ein Spektralphotometer, das dessen Spektrum ermittelt und per Software auswertet. Neben exakten Farbwerten, etwa von Lacken oder Lebensmitteln, lassen sich aus den Spektren die Homogenität des Mediums und daraus die Prozessstabilität ablesen.
Der norwegische ColVisTec Gründer Jan Johnsen brachte das Verfahren aus den USA mit. Seine europaweite Standortsuche führte ihn ins ZMM. „We want to do the german stuff“, sagt er. Zu 80 Prozent hätten die Amerikaner das Verfahren ausgereizt. Er will 100 Prozent – und setzt nun auf deutsches Engineering und das Netzwerk vor Ort. Ähnlich begründet Tilman Weiss von sglux den Umzug nach Adlershof: „Einem Unternehmen der Opto-Elektronik steht eine Adresse in der Max-Planck-Straße in Adlershof wegen der ansässigen geballten Kompetenz in der Mikrosystemtechnik und den optischen Technologien gut zu Gesicht“, sagt er.
ZMM-Leiter Jörg Israel ist sicher, dass sich die 6.500 Quadratmeter Büro-, Labor- und Reinraumfläche schnell weiter mit Leben füllen. „Heute entwickeln rund 50 Unternehmen in Adlershof Mikrosystemtechnik“, sagt er. Mit dem neuen Zentrum sei die Basis für weitere Ansiedlungen geschaffen.
von Peter Trechow/Rico Bigelmann
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