Brücken bauen
Wer die Materialien der Zukunft entwickeln will, muss interdisziplinär forschen
Bei der Produktion von photovoltaischen Zellen oder Leuchtdioden werden im industriellen Fertigungsprozess Temperaturen von bis zu 1.600 Grad Celsius erreicht. Wären die Temperaturen niedriger, könnte man an die Herstellung von flexiblen und großflächigen Anwendungen denken. „Erst Tieftemperaturprozesse von höchstens 200 Grad Celsius machen den Einsatz von flexiblen Substraten in den Anwendungen möglich, etwa auf Kunststoff-Folien“, erläutert Emil List-Kratochvil, Professor für Hybride Bauelemente an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). „Die Fertigung wird energieeffizienter und damit auch kostengünstiger. Überdies sind solche Produkte vielseitiger einsetzbar.“
List-Kratochvil wurde 2015 von der Technischen Universität Graz und der NanoTechCenter (NTC) Weiz Forschungsgesellschaft mbH an die HU berufen. Er ist ein sogenannter Brückenprofessor, seine Professur ist an zwei Instituten angesiedelt: am Institut für Physik und am Institut für Chemie. Brückenprofessuren sollen Transferprozesse zwischen den Disziplinen unterstützen. Um die interdisziplinäre Erforschung von bislang unbekannten Eigenschaften hybrider Materialien zu stärken, wurde eigens am Campus Adlershof das Integrative Research Institute for the Sciences IRIS gegründet, dem auch List-Kratochvil angehört.
In den Materialwissenschaften sind fächerübergreifende Kenntnisse das A und O. „Besonders im Umgang mit elektroaktiven hybriden Materialien ist es für Wissenschaftler hilfreich, die Begrifflichkeiten der jeweils anderen Disziplin zu verstehen“, so List-Kratochvil. „Studierenden eröffnet sich mit der Erweiterung ihrer Kenntnisse in zwei Fächern zudem eine hohe berufliche Flexibilität.“
Sein Kollege Norbert Koch – ebenfalls Brückenprofessor an der HU und Mitglied des IRIS Adlershof – stammt wie List-Kratochvil aus Österreich. Koch hat in Graz studiert und danach an der Princeton University geforscht. Er kam bereits 2003 nach Berlin. Den Professor für Struktur, Dynamik und elektronische Eigenschaften molekularer Systeme fasziniert die molekulare Elektronik. Dahinter steckt die Idee, die Funktion von elektronischen Bauteilen eines Tages mithilfe von einzelnen oder nur wenigen gezielt wechselwirkenden Molekülen zu realisieren.
Koch widmet sich den Grenzflächen, sehr dünnen Materialstrukturen im Nano- oder höchstens Mikrometerbereich. Äußere Einflüsse wie Luft, Temperatur und auch Feuchtigkeit verändern die elektrischen Eigenschaften dieser empfindlichen Materialien immens. Als Wissenschaftler untersucht er deren Eigenschaften zunächst im Vakuum. „Dann verändern wir die Einflüsse der Umgebung und beobachten, wie sich die Eigenschaften verändern“, erläutert Koch. Ziel: Prozesse in der Fertigung von Dünnschichtmodulen zu optimieren und effizienter zu machen. Damit kann zum Beispiel die Bereitstellung von Solarenergie in Zukunft noch weitaus kostengünstiger werden.
Von Mirko Heinemann für Adlershof Special