Brückenschlag
Zu Fuß und mit dem Rad übers Adlergestell
27. Januar 2024. Adlershof liegt noch im tiefen Schlummer, als wenige Minuten vor vier am Morgen ein gigantischer Kran das filigrane Gebilde vom Adlergestell anhebt. Gut 74 Meter lang ist die Brückenkonstruktion, die da am Haken hängt. Schon bald wird sie Bundesstraße und Bahnstrecke überspannen und eine Geschichte langsam an ihr Ende bringen, die gut 16 Jahre zuvor begann.
„Alles nahm seinen Anfang mit dem Bebauungsplan 9-60“, erzählt Steffen Kotscha von der WISTA.Plan GmbH, der das Projekt betreut. „Darin haben das Land Berlin, die Deutsche Bahn AG und der Stadtbezirk die Gestaltung des ehemaligen Güterbahnhofs Schöneweide in Angriff genommen.“ Das war 2008 und bereits damals kam die Fuß- und Radwegbrücke ins Spiel. Als Ausgleichsmaßnahme. „Wenn so ein Gebiet wie der ehemalige Güterbahnhof Schöneweide umgestaltet wird, müssen viele Faktoren wie Flora, Fauna, Klima, Luft oder verkehrliche Belange betrachtet werden“, sagt der Bauingenieur. Das alte Bahnhofsgelände hatte sich in den 20 Jahren seit der Wende in eine kleine Wildnis verwandelt. Dort einzugreifen, macht einen Ausgleich notwendig. Der kann nicht nur durch neue Bäume geschaffen werden, sondern auch durch bessere Infrastruktur. Wie eine Fuß- und Radwegbrücke eben. „Sie soll vor allem die trennende Wirkung des Adlergestells, also der Bundesstraße 96 und der viergleisigen Bahntrasse aufheben“, erklärt Kotscha. Doch sie verbindet noch viel mehr als nur die beiden Seiten einer Schnellstraße. Sie verbindet den Mauerradweg mit dem Spreeradweg. Sie wird Bestandteil des Teltower Dörferweges, einer von 20 grünen Haupt- und Wanderwegen in Berlin. Außerdem schafft sie einen sicheren Weg für die Kinder, die in den beiden Schulen lernen werden, die in der Wissenschaftsstadt neu entstehen.
Der silberne Riese ist dabei nur ein Teil der Brücke. Vorgelagerte Stützen, Trogbauwerke, Pfeiler – all das musste aus dem Boden gestampft werden. Dafür haben die Teams nicht an einer, sondern gleich an zwei Baustellen gearbeitet. „Die auf der Technologieparkseite bezeichnen wir als Startpunkt“, erzählt Kotscha. „Die hinter dem Adlergestell ist der Landepunkt.“ Wer von einer Baustelle zur anderen wollte, musste erst bis zum S-Bahnhof Adlershof fahren, dort unter der Brücke entlang und dann zurück.
Das hat nun bald ein Ende. Der Moment, auf den alle so lange hingearbeitet haben, ist nah. Es ist Montag, der 22. Januar 2024. Gerade brachen die beiden Spezial-Lkw in Süddeutschland auf. Jeder schultert ein Brückenteil, fünfeinhalb Meter breit und gut dreißig Meter lang. Sie können nur auf Autobahnen fahren, denn keine Landstraße ist ihnen gewachsen. Sie bewegen sich nur nachts. Jetzt, fast fünf Tage später, sind sie in Berlin eingetroffen. Ihre gigantische Fracht liegt nun auf dem Adlergestell, wo beide Teile zu einer einzigen Brücke montiert werden. Der Verkehr ruht. Bundesstraße und Bahnstrecke sind gesperrt. „Das mussten wir vier Jahre im Voraus bei der Bahn anmelden“, erzählt Kotscha. „Jahr für Jahr mussten wir melden, ob wir den anvisierten Termin einhalten können.“
Daran denkt im Moment niemand mehr. Alle Augen sind auf den Kran gerichtet, der die silbrig glänzende Konstruktion auf ihrer endgültigen Position absetzt. Keine zwei Stunden später ist es vollbracht; der Brückenschlag geglückt. Die erste Aluminiumbrücke dieser Größe in Berlin montiert. Das ist innovativ. Denn normalerweise bestehen solche Brücken entweder aus Beton oder aus Stahl. „Wir haben vorab akribisch die Lebenszykluskosten geplant und die klassischen Bauweisen mit der filigranen Aluminiumkonstruktion verglichen“, erklärt der Bauingenieur. „Auf die gesamte Lebensdauer betrachtet, hat sich Letztere als die beste Option herauskristallisiert.“ Das schlagkräftigste Argument waren dabei die Kosten für die Unterhaltung. Brücken werden auf ein Jahrhundert ausgelegt. In dieser Zeit müssen jene aus Stahl regelmäßig gestrichen und jene aus Beton gründlich inspiziert werden. Und die Aluminiumkonstruktion? Die ist fast wartungsfrei. „Auf den langen Zeitraum betrachtet, werden die höheren Investitionskosten durch die niedrigeren Wartungskosten mehr als aufgewogen.“
Noch ist die Brücke nicht komplett. Bis zur feierlichen Eröffnung im September erhält sie noch einen Belag und eine begrünte Umgebung. Dann wird die Hilde-Archenhold-Brücke ihre Bestimmung als Bindeglied in Adlershof erfüllen können.
Kai Dürfeld für Adlershof Journal
Fuß- und Radwegbrücke Adlershof - WISTA.Plan (wista-plan.de)