Erst durchhalten, dann hochschalten
Wie Adlershofer die Durststrecke bis zur Medizinproduktezulassung meistern
Die Zulassung von Medizintechnikprodukten ist langwierig. Es kann gerade für Gründer existenzbedrohend werden. Wie bewältigen Adlershofer Unternehmen diese Durststrecke?
Keime im Krankenhaus werden zu einem ernsten Problem. Besonders in der Chirurgie steigen die Fälle von Kreuzinfektionen, vornehmlich mit Hepatitis, Erregern der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, HIV oder gar mit multiresistenten Staphylokokken (MRSA). „Das betrifft natürlich auch die verwendeten Instrumente, die von gewissen Erregern nicht garantiert vollständig desinfiziert werden können“, sagt Clemens Frania, Geschäftsführer der Si Us Instruments GmbH. Seine naheliegende Geschäftsidee: Steril im Reinraum verpackte chirurgische Einmalinstrumente aus Stahl sowie komplette OP-Sets herstellen. „Dem Problem von Infektionen kann durch noch nie kontaminiertes Instrumentarium, das nach dem Gebrauch entsorgt wird, abgeholfen werden“, erklärt Frania. Das Lieferprogramm seiner 2013 gegründeten Firma umfasst rund 8.000 verschiedene Produkte.
Doch nur durch Geschick gelang es Frania, seine ebenso einzigartige wie einleuchtende Idee zum Erfolg zu führen: „Die Zulassung ist ein extrem langer und schwieriger Prozess, der mittlerweile vielen Start-ups die Existenzgrundlage entziehen dürfte“, sagt Frania. Er hatte noch Glück: Nach einem guten Jahr war die Sache erledigt. Heute müssen Medizintechnikhersteller aufgrund verschärfter Bestimmungen mit zwei oder gar drei Jahren rechnen. Wer nicht mit Krediten und Fördergeldern ausgestattet ist, dem kann schnell die Insolvenz drohen. Frania überbrückte die Durststrecke, indem er sich einen zertifizierten Partner suchte, der als Hersteller agierte, und die Adlershofer Firma anfangs nur den Vertrieb übernahm. Mittlerweile stellt Si Us Instruments für die Bundeswehr und ca. 150 Kliniken her.
Großes Glück in Sachen Fremdfinanzierung hatte das Start-up magnosco. „Für Unternehmen wie uns ist es wichtig, Investoren mit einem Verständnis für die Medizinproduktentwicklung und langem Atem zu finden“, sagt Mitgeschäftsführerin Inga Bergen mit Blick auf die Geldgeber der 2014 gegründeten Firma. magnosco hat mit dem „DermaFC“ ein Gerät zur Erkennung von schwarzem Hautkrebs entwickelt, das Medizinern gegen Gebühr zur Verfügung gestellt wird. Eine Art „digitale Zweitmeinung für den Arzt“, verdeutlicht Bergen. „Die Zulassung ist langwierig, aber planbar“, sagt sie. Einschränkung: Rückmeldungen der Behörden dauern nicht nur: „Sie antworten, wenn sie antworten, so dass man leider nicht planen kann“, bedauert Bergen. Das ist ein Innovationshindernis, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, die Medizinprodukte zulassen wollen.
Etwas mehr Verbindlichkeit und Planungssicherheit könnte auch die im Oktober 2016 gegründete Firma Smarterials Technology gebrauchen. Die Gründer haben stichverletzungssichere OP-Handschuhe entwickelt, die sie im vierten Quartal nächsten Jahres auf den Markt bringen möchten: „Mehrlagige chirurgische Handschuhe ersetzen das Double Gloving, das Tragen von zwei Paar Handschuhen übereinander“, erklärt Geschäftsführer Martin Bothe. „Dabei geht es um Infektionsprävention und Perforationsindikation.“ Denn trotz aller Vorkehrungen werden in Deutschland bei Ärzten eine halbe Million Nadelstichverletzungen jährlich gezählt. Eine verbesserte mechanische Festigkeit schützt vor kleinsten Durchlöcherungen der Handschuhe, die Arzt und Patient vor Infektionen bewahren. „Wir entwickeln in Adlershof die Technologie, um solche mehrlagigen Handschuhe in Zukunft auf bestehenden Produktionslinien fertigen zu können“, berichtet Bothe. Wie lange es dauern wird, bis das innovative Produkt seine Zulassung bekommt, kann er noch nicht sagen.
Hilfreich auf diesem Weg ist jedenfalls ein ausreichendes finanzielles Polster: „Unsere Firma ist aktuell durch öffentliche Förderungen (ProFIT der IBB) und private Investoren finanziert“, sagt Bothe. Förderlich ist auch, dass das Start-up auf bestehende Dokumentationen und die Produktion bei zertifizierten Herstellern zurückgreifen kann, was die Zulassungsdauer verkürzt.
Unter anderem stehen Shelf-Life-Tests an, durch die die Handschuhe eine dreijährige Lagerzeit unter Beweis stellen müssen. Ständige Begleiter über die Zulassung hinaus sind ein umfassendes Qualitätsmanagement sowie eine umfangreiche technische Dokumentation, in deren Rahmen die erforderlichen Materialtests durchgeführt werden, berichtet Bothe. Frania weiß ein Lied davon zu singen: Weit über 100.000 Euro bringt die Firma jährlich auf, um die Marktzulassung sämtlicher Medizinprodukte aufrechtzuerhalten, worum sich allein drei Qualitätsmanager kümmern, die sich wiederum fortlaufend schulen müssen.
Von Chris Löwer für Adlershof Journal
www.si-us-instruments.de
www.magnosco.com
www.smarterials.berlin