Großexperiment untersucht Leistungsfähigkeit von Stabsarbeit in Großschadenslagen
Forschung am Innovation Lab OPTSAL des DLR zum Einfluss digitaler Führungsmittel
In Gefahren- und Großschadenslagen kommen Einsatzkräfte aus Verwaltungen, Behörden und Unternehmen zu Krisen- und Führungsstäben zusammen. Diese Stäbe koordinieren den Einsatz und entscheiden über Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz. Dabei stützen sie sich auf die Rückmeldungen der vor Ort agierenden Einsatzkräfte wie etwa von Polizei, Feuerwehr oder Hilfsorganisationen, die eine große Fülle an Informationen liefern und so ein umfassendes und zugleich vielschichtiges Lagebild erzeugen.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) untersucht im Innovation Lab OPTSAL (Optical Technologies for Situational Awareness Lab), welchen Einfluss digitale Instrumente wie luftgestützte Lageerkundung auf die Entscheidungsprozesse im Stab haben. Im Projekt EFFEKT (Einfluss von digitalen Führungsmitteln auf Entscheidungsprozesse von Führungs- und Krisenstäben) werden diese Prozesse beobachtet und gemessen, damit die zivile Stabsarbeit im Bereich von Gefahrenabwehr und Krisenmanagement künftig noch leistungsfähiger gestaltet werden kann.
Mit Anwendern forschen
Die Leistungsfähigkeit von Krisen- und Führungsstäben in Deutschland ist bislang weitgehend unerforscht. Dies liegt nicht zuletzt an den besonderen Herausforderungen: Stäbe arbeiten hochdynamisch, interdisziplinär und unter großem Zeitdruck, was eine standardisierte Untersuchung erheblich erschwert. Gerade deshalb ist es von besonderer Relevanz, Methoden zu entwickeln, mit denen sich diese Prozesse realitätsnah erfassen und analysieren lassen. Dank der methodischen Kompetenz sowie der technologischen Ausrüstung und personellen Unterstützung der Kooperationspartner konnte das erste Experiment einer mehrjährigen Reihe vom 22. bis 26. September 2025 im DLR-Institut für Weltraumforschung realisiert werden.
Insgesamt kamen 21 Probandinnen und Probanden, bestehend aus stabsarbeitserfahrenen Einsatzkräften, zu drei Einsatzstäben zusammen. Das Gefahrenszenario: Ein Waldbrand, der auf umliegende Örtlichkeiten und Infrastrukturen überzugreifen droht. Die Stäbe bekamen Informationen aus dem sogenannten Simulationsstab, der sich aus Trainerinnen und Trainern der Führungslehre und Stabsarbeit der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) zusammensetzte.
Im Zentrum der Untersuchung standen die Übermittlung und Verarbeitung digitaler Daten, wie Lagekarten des Waldbrands, sowie der Prozess der Entscheidungsfindung. Erforscht wurde, in welchem Maße die Datenarten und Informationsflüsse das Situationsbewusstsein sowie die Handlungsfähigkeit jedes Mitglieds des Experimentalstabs und schlussendlich die Geschwindigkeit der zu treffenden Entscheidungen beeinflussten.
MACS liefert Lagebilder
Die verwendeten Lagebilder des Szenario-Waldbrands lieferte das im DLR entwickelte modulare MACS-Kamerasystem (Modular Aerial Camera Systems), das weltweit bei vielen anspruchsvollen Missionen zur Erdbeobachtung und vor allem für Sicherheitsanwendungen eingesetzt wird. Genutzt wurden hierbei Daten des Waldbrands, mit denen das OPTSAL-DroneOps-Team die lokalen Einsatzkräfte 2024 in Oranienbaum unterstützte. Die Luftbilder wurden im visuellen sowie thermalen Spektralbereich sowie als georeferenzierte Karte in verschiedenen Darreichungsformen übermittelt.
Auch die Räumlichkeiten für das Experiment stellte das DLR: Der OPTSAL-Lageraum bietet aufgrund seiner hochinnovativen Infrastruktur die optimale Testumgebung.
OPTSAL fokussiert sich darauf, die entwickelten MACS-Technologien und Datenprodukte praktisch auszuprobieren und zu testen. Mit der Experimentalreihe EFFEKT lassen sich die Technologien messbar erproben und bewerten, wodurch Prototypen schneller entwickelt und in die Anwendung transferiert werden können.
Langjährige Forschungskooperation
Was in einem OPTSAL-Workshop im Jahr 2021 als Idee entstand, wurde bereits mit einem Methodentest im Jahr 2023 realisiert: Unter dem Projekt SDZ_E (Stabsarbeit der Zukunft_Experiment) haben sich die Technische Hochschule Köln, die Akkon Hochschule, die Eurocommand GmbH sowie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit dem Ziel zusammengeschlossen, die Führungsleistung in Stäben wissenschaftlich mess- und bewertbar zu machen.
Im Rahmen des Großexperiments kamen die Kooperationspartner zur gemeinsamen Durchführung am DLR zusammen. Zur Erhebung der Daten brachte das Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) der Technischen Hochschule Köln das RespondingLab ein. Mit Bodycams, Raumkameras, Mikrofonen und einer Auswertungssoftware kann das Labor die Stabsarbeit während des Versuchs lückenlos dokumentieren. Die Informationsflüsse, Handlungen und Maßnahmen des Stabes können so nach dem Versuch detailliert ausgewertet und Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Stäbe unter verschiedenen Bedingungen ermöglicht werden.
Ein Beobachter innerhalb des Stabsraums stellte den einzelnen Sachgebieten zwischenzeitlich zusätzliche Aufgaben, die gelöst werden mussten, um speziell das Situationsbewusstsein in der aktuellen Lage erheben zu können. Die Forschenden wollten so untersuchen, wie sich unterschiedliche Entwicklungsgrade der eingehenden Informationen auf das Situationsbewusstsein und die Leistungsfähigkeit des Stabes auswirken.
Die technische Durchführbarkeit wurde zudem durch die Eurocommand GmbH gewährleistet. Die Probandinnen und Probanden arbeiteten mit dem Führungsunterstützungssystem CommandX. Durch die Erweiterung der Software um eine Simulationsumgebung konnten die Anwender komplexe Prozesse virtuell und realitätsnah durchlaufen.
Das Drehbuch des Szenarios sowie die Einweisung der Teilnehmenden wurden durch die L2R GmbH ausgearbeitet. Ein besonderer Dank geht an die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, die durch die EFRE-Förderung des Landes Berlin die Finanzierung des Projektes ermöglichte.
Ausblick 2026
Die Erkenntnisse des Experiments sollen voraussichtlich im ersten Quartal 2026 im Rahmen eines Online-OPTSAL-Workshops präsentiert werden. Der nächste Experimentaldurchlauf ist bereits für 2026 angesetzt. Außerdem sollen die Erkenntnisse künftig sowohl in die Aus- und Weiterbildung von BOS-Führungskräften und -Stabsmitarbeitenden, als auch über unterschiedliche Wissensaustausch-Formate in die Praxis überführt werden und so einen Beitrag zur gesellschaftlichen Resilienz leisten.
Weiterführende Links:
- DLR-Standort Berlin
- DLR-Institut für Weltraumforschung
- DLR-Projektseite: MACS (Modular Aerial Camera Systems)
- DLR-Kompetenzzentrum OPTSAL
- Stabsarbeit der Zukunft Experiment
- Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung
- RespondingLab
- L2R GmbH
Kontakt:
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin-Adlershof
Melanie-Konstanze Wiese
Kommunikation Berlin, Cottbus, Dresden, Jena, Neustrelitz und Zittau
+49 30 67055-639
Julia Gonschorek, Josephin Fritz
Institut für Weltraumforschung
www.dlr.de/wr
DLR-Pressemitteilung vom 8. Oktober 2025