Neue Studie nennt „Zehn Fakten“ zur globalen Landnutzung
50 Wissenschaftler/-innen aus 20 Ländern beschreiben einen nachhaltigeren und gerechteren Ansatz der Landnutzung zur Bewältigung des Klimawandels, der biologischen Vielfalt und anderer globaler Krisen
Eine neue Studie, die in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) veröffentlicht wurde, fordert politische Entscheidungsträger:innen weltweit auf, Landnutzung stärker für die nachhaltige und gerechte Lösungen dringender Nachhaltigkeitsprobleme zu berücksichtigen. Der Artikel wurde von 50 führenden Landnutzungswissenschaftler:innen aus 20 Ländern mitverfasst, darunter mehrere Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin. Ein begleitender Bericht bietet konkrete Beispiele, die politischen Entscheidungsträgern und der breiten Öffentlichkeit helfen sollen zu verstehen, warum Landnutzung so zentral ist für die Lösung der drängendsten Nachhaltigkeitsfragen.
„Internationale Vereinbarungen zum Klimawandel, zur biologischen Vielfalt und zur nachhaltigen Entwicklung konzentrieren sich zunehmend auf Landnutzung als Lösungsansatz“, erklärt Ariane de Bremond, Koordinatorin des Global Land Programme, das die Studie initiierte. "Es ist dringend notwendig, dass Entscheidungsträger verstehen, dass die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen nur dann gelingen kann, wenn die zehn in der Studie erläuterten Fakten berücksichtigt werden.“
„Wir wissen, dass Land und wie wir es nutzen für viele Nachhaltigkeitsprobleme von zentraler Bedeutung ist“, erklärt Jonas Nielsen vom Fachbereich Geographie der HU Berlin und Mitautor der Studie: „Diese Studie gibt einen Überblick über etablierte und validierte Erkenntnisse zur Landnutzung und zeigt auf, wie dieses Wissen in Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit umgesetzt werden kann.“ Die Studie soll als Grundlage für politische Maßnahmen dienen, die darauf abzielen, die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, Systeme für eine nachhaltige Nahrungsmittel- und Energieproduktion zu entwickeln, die biologische Vielfalt zu schützen und konkurrierende Ansprüche auf Landbesitz auszugleichen. Die Studie zeigt auch auf, was die politischen Entscheidungsträger berücksichtigen müssen, wenn sie wirtschaftlich, kulturell und ökologisch nachhaltige Lösungen für diese komplexen Herausforderungen entwickeln wollen.
„Die globale Landnutzung verursacht momentan eine Vielzahl von Nachhaltigkeitsproblemen“, merkt Tobias Kuemmerle, ein weiterer Mitautor von der HU Berlin, an: „Jedoch kann und muss sie ein wichtiger Teil der Lösung sein.“ Patrick Hostert vom Geographischen Institut der HU Berlin ergänzt: „Wir brauchen endlich eine systemische Perspektive auf Landnutzung, die nicht versucht, ein Problem isoliert zu lösen, ohne seine Auswirkungen auf andere Nachhaltigkeitsprobleme zu berücksichtigen.“ Unsere Studie fasst hierzu die wichtigsten Erkenntnisse der Forschung der letzten Jahre zusammen.
Die zehn in der Studie gelisteten Fakten zur Landnutzung haben direkte Auswirkungen auf die Effektivität und Auswirkungen von politischen Maßnahmen, die Land betreffen, vom Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel über die Nahrungssicherheit bis hin zum Schutz der biologischen Vielfalt und der menschlichen Gesundheit. Die Autoren ermutigen politische Entscheidungsträger vor allem dazu anzuerkennen, dass Kompromisse nötig sind und oftmals nicht alle Nachhaltigkeitsziele gleichermaßen erreicht werden können. Solche Zielkonflikte zu erkennen erlaubt eine fortwährende Bewertung und Neukalibrierung von Maßnahmen, was langfristig zu gerechteren Ergebnissen führen kann.
„Es ist an der Zeit, über das Streben nach einer 'nachhaltigen Landnutzung' hinauszugehen und stattdessen darüber nachzudenken, wie man 'Nachhaltigkeit durch Landnutzung' in ganz verschiedenen Facetten erreichen kann“, so Patrick Meyfroidt, der Hauptautor der Studie und Professor an der UCLouvain in Belgien abschließend. „Wir hoffen, dass diese Fakten und ihre Auswirkungen eine solidere Grundlage für den dringend notwendigen Diskurs über Landnutzung und Nachhaltigkeit bei der Entwicklung einer globalen Politik bilden können."
„Die Art und Weise, wie wir Land nutzen, wird darüber entscheiden, ob die Menschheit den Klimawandel bewältigen, den Verlust der biologischen Vielfalt aufhalten und eine angemessene Lebensgrundlage für alle schaffen kann“, fasst Jonas Nielsen zusammen. „Unsere Studie zeigt, warum es so schwierig ist, Land nachhaltig zu bewirtschaften, aber auch, wie es möglich ist.“
Link zur Studie: www.pnas.org/content/119/7/e2109217118
Weitere Informationen auf glp.earth
Kontakt:
Prof. Dr. rer. nat. Tobias Kümmerle
Geographisches Institut
Humboldt-Universität zu Berlin
E-Mail: tobias.kuemmerle(at)hu-berlin.de
www.geographie.hu-berlin.de/en/professorships/biogeography
Die zehn Fakten, die von den Co-Autor*innen der Studie gemeinsam identifiziert wurden, sind:
- Die Bedeutung und Werte von Land sind sozial konstruiert und umstritten. Verschiedene Gruppen legen unterschiedlichen Wert darauf, was Land nützlich oder kulturell wichtig macht, und wann Land als degradiert betrachtet wird. Top-down politische Maßnahmen sind oft in einem vorherrschenden Wertesystem verwurzelt.
- Landnutzungssysteme sind komplex und weisen oft abrupte, schwer vorhersehbare Veränderungen auf. Politische Maßnahmen sollen in der Regel ein bestimmtes Problem lösen, scheitern jedoch oft, weil sie die Komplexität der Systeme ignorieren. Die isolierte Behandlung eines Problems kann zu unbeabsichtigten Schäden für Natur und Menschen führen.
- Irreversible Veränderungen und Pfadabhängigkeiten sind gemeinsame Merkmale von Landnutzungssystemen. Der Wechsel von einer Landnutzung in eine andere, wie etwa die Rodung von alten Wäldern, führt zu Veränderungen, die Jahrzehnte bis Jahrhunderte später zu spüren sind. Renaturierungen bringen Land selten in einen Zustand zurück, der wirklich den ursprünglichen Bedingungen entspricht.
- Einige Landnutzungen haben zwar einen geringen Fußabdruck, aber sehr große Auswirkungen. Städte zum Beispiel verbrauchen große Mengen an Ressourcen, die oft anderswo auf riesigen Landflächen produziert werden. Städte können jedoch auch negative Auswirkungen verringern, indem sie die Bevölkerung auf einer relativ kleinen Fläche konzentrieren. Nettoauswirkungen lassen sich oft schwer messen und vorhersagen.
- Treiber und Auswirkungen von Landnutzungsänderungen sind global miteinander verbunden und wirken sich auf entfernte Orte aus. Aufgrund der Globalisierung kann die Landnutzung von weit entfernt lebende Menschen, wirtschaftliche Faktoren, politische Maßnahmen, Organisationen und Entscheidungen die Landnutzung an einem anderen Ort beeinflussen.
- Wir leben auf einem intensiv genutzten Planeten, auf dem das gesamte Land den Gesellschaften von Nutzen ist. Menschen bewohnen, nutzen oder bewirtschaften direkt mehr als drei Viertel der eisfreien Fläche der Erde. Selbst unbewohntes Land ist auf unterschiedliche Art mit den Menschen verbunden; nirgendwo ist eine Änderung der Landnutzung frei von Kompromissen.
- Landnutzungsänderungen sind in der Regel mit Abwägungen zwischen verschiedenen Vorteilen verbunden. "Win-Win"-Situationen sind selten. Die Landnutzung bietet eine Reihe von Vorteilen wie Nahrung, Holz und sakrale Gebiete. Aber sie geht oft auch mit Kompromissen für die Natur und einige lokale Gemeinschaften einher. Landnutzungsentscheide sind mit Werturteilen verbunden, die bestimmen, welche Vorteile priorisiert werden sollen und für wen.
- Landbesitz- und Landnutzungsansprüche sind oft unklar, überschneiden sich und sind umstritten. Nutzungs- und Zugangsrechte zu Land können sich überschneiden, verschiedenen Personen gehören oder sich auf verschiedene Arten des Zugangs beziehen, wie bei Eigentums- oder Nutzungsrechten.
- Nutzen und Lasten von Land sind ungleich verteilt. In den meisten Ländern der Welt besitzt eine kleine Anzahl von Menschen einen unverhältnismäßig großen Teil an Landfläche und Bodenwert.
- Landnutzende haben vielfältige, manchmal widersprüchliche Vorstellungen davon, was soziale und ökologische Gerechtigkeit bedeutet. Es gibt keine alleinige Form der Gerechtigkeit, die für alle gleichermaßen fair ist. Gerechtigkeit bedeutet für verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge. Diese gehen von der Anerkennung des Anspruchs indigener Gruppen auf Land über die Auswirkungen auf künftige Generationen bis hin zu den Systemen, mit denen bestimmt wird, wessen Ansprüche Vorrang haben.
HU-Meldung vom 8.02.2022