Der Atomefänger
Markus Krutzik erforscht Grundlagen und Anwendungen hochpräziser Messgeräte
Als er 2009 nach Berlin zog, um zu promovieren, bekam Markus Krutzik von seinem Doktorvater zu hören: „Wir werden aber bald nach Adlershof umziehen.“ Der Name sagte dem gebürtigen Frankfurter damals gar nichts. Mittlerweile ist es über ein Jahrzehnt her, dass sich sein wissenschaftliches und berufliches Dasein im Berliner Südosten abspielt, derzeit an gleich zwei Standorten in der Newton- und der Gustav-Kirchhoff-Straße. Krutzik ist am physikalischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin und obendrein am Ferdinand-Braun-Institut gGmbH, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH) tätig.
Er forscht hier an den Grundlagen für die Entwicklung – wie er sich ausdrückt – „kompakter und robuster atombasierter Sensoren“, hochpräziser Instrumente, die etwa zur Zeitmessung oder zur Navigation dienen können. Dabei stehen seine beiden Arbeitsorte zueinander in einem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung: „Die Konzepte, die wir uns als Physiker ausdenken, bringen Wissenschaftler am FBH zur Anwendungsreife.“ Ausdenken, anwenden, Krutziks Leidenschaft gehört beidem.
Er nennt es den „Drang, übergeordnete Zusammenhänge zu verstehen und zu beleuchten“, der Frage nachzugehen: „Was verbirgt sich hinter dem Unbekannten?“ Das hat ihn zur Physik getrieben. Deswegen auch ist er nach dem Abitur Semester für Semester aus der Main-Metropole nach Darmstadt gependelt, dessen Technische Universität nach seinem Eindruck in den Naturwissenschaften mehr zu bieten hatte. Dem Studium dort verdankt er die Faszination für ein Phänomen, das es im Naturzustand gar nicht gibt, von dem er gleichwohl sagt: „Das hat mich nicht mehr losgelassen.“ Die Rede ist von „kalten Atomen“.
Wer davon noch nie gehört hat, dem erklärt es Krutzik etwa so: Mithilfe von Laserlicht und Magnetfeldern lassen sich atomare Gase herunterkühlen auf ein Milliardstel Grad oberhalb des absoluten Nullpunkts. Der wohlgemerkt nicht mit dem Gefrierpunkt zu verwechseln ist, sondern noch mehr als 273 Grad Celsius darunter liegt. Dabei verlieren die Atome enorm an Geschwindigkeit und legen in einer Sekunde nur rund 100 Mikrometer zurück, eine Strecke, die etwa dem Durchmesser eines Haares entspricht. Wirklich langsam ist so ein Atom also nicht, für den Physiker aber doch langsam genug, um seine Bewegungen steuern zu können: „Wir fangen und manipulieren Atome für Messungen von Zeit und physikalischen Feldern“, beschreibt Krutzik seine Tätigkeit.
Was damit anzufangen ist? Zum Beispiel die Fallgeschwindigkeit einer in Ultrahochvakuum frei fallenden „Atomwolke“ messen, meint Krutzik, um so die Erdbeschleunigung exakt zu bestimmen. Solche „atombasierten“ Geräte seien der „spannendste Sensortyp, den man sich vorstellen kann“.
Gibt es etwas ähnlich Faszinierendes? Seit 18 Jahren, sein halbes bisheriges Leben lang, gehört Krutzik als Sänger einer auf dem Schulhof in Frankfurt-Sachsenhausen gegründeten Heavy-Metal-Band an. Mit der er 2018 auch schon auf dem legendären Festival im schleswig-holsteinischen Wacken aufgetreten ist.
Von Winfried Dolderer für Adlershof Journal